Entschädigung für Gewerbetreibende Anlieger bei Straßenbauarbeiten
Grundsätzlich haben Anlieger die Straßenbauarbeiten entschädigungslos zu dulden, auch wenn ihr Eigentum (Geschäftsbetrieb) dadurch geschädigt wird, z.b. durch Umsatzeinbußen.
Aus dem Grundsatz der Sozialbindung des Eigentums ergibt sich, dass Gewerbebetriebe bis zu einer gewissen Grenze entschädigungslos hinnehmen müssen, wenn der Zugang zum Geschäft oder Grundstück beeinträchtigt oder erschwert wird. Wird beispielsweise die Straße saniert oder neu gepflastert, dient dies der Verbesserung und Modernisierung des Straßenbildes.
Auch wenn während der Bauzeit nur Fußgänger ein Ladenlokal erreichen können, Stellplätze wegfallen, Einbahnstraßenregelungen geschaffen werden, Umwege notwendig sind oder Bauzäune die Nutzung der Schaufenster unmöglich machen, kann keine Entschädigung für Umsatzrückgänge gefordert werden.
Das Hessische Straßengesetz sieht unter bestimmten Umständen eine Entschädigung vor, wenn die wirtschaftliche Existenz eines anliegenden Betriebes gefährdet ist (22 Abs. 2 HStrG)
Unter sehr engen Voraussetzungen (u.a. eine Minderung des "Rohertrages" eines Grundstücks um mindestens 50 %) kann auch ein teilweiser Erlass der Grundsteuer nach § 33 Grundsteuergesetz in Frage kommen.
Die Eigentumsposition umfasst auch nicht den Lagevorteil eines Gewerbebetriebes, z.B. die Kundennähe durch eine Fußgängerzone oder die Erreichbarkeit durch eine Hauptverkehrsstraße. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm in einem Urteil vom 30.6.2003 (Az. 22 U 173/02) entschieden: Ein Hotel- und Restaurantbetrieb erlitt Umsatzeinbußen, da er nicht mehr - wie früher - direkt an einer Bundesstraße lag, sondern die Zufahrt nur noch über eine Nebenstraße erfolgte.
Dieser Lagevorteil ist von Anfang an mit dem Risiko der jederzeitigen Änderung behaftet, so dass im Falle einer Verschlechterung kein entschädigungspflichtiges Sonderopfer anzunehmen ist. Ein eigentumsrechtlicher Schutz greift in diesen Fällen nur ein, wenn die örtlichen Besonderheiten für das jeweilige Gewerbe unverzichtbar sind.
Wann liegt ein Sonderopfer vor?
Die Rechtsprechung hat bislang keine festen Grenzen für noch vertretbare Umsatzeinbrüche festgelegt. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Als Maßstab dient der gesunde Betrieb, der im Laufe der Jahre Rücklagen für derartige Vorkommnisse gebildet hat. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Betrieb schon zuvor nicht mehr wirtschaftlich gesund war, wenn sich bereits kurz nach Beginn der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen wirtschaftliche Schwierigkeiten ergeben.
Einige grundsätzliche Urteile zur Frage des Sonderopfers bieten einen ersten Überblick:
  • Verkehrsbehinderungen durch Straßenarbeiten sind nur dann entschädigungslos hinzunehmen, wenn sie nach Art und Dauer nicht über das hinausgehen, was bei ordnungsgemäßer Planung und Durchführung der Arbeiten mit möglichen und zumutbaren Mitteln in sachlicher und personeller Art notwendig ist. Bei einer nicht unerheblichen Überschreitung dieser Grenze besteht ein Anspruch auf Entschädigung wegen rechtswidrigen enteignungsgleichen Eingriffs (BGH, Urteil vom 6.11.1997, Az. III ZR 198/96).
  • Bei ordnungsgemäß durchgeführten Bauarbeiten kann die Grenze von der entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung des Anlieger-Eigentums zum entschädigungspflichtigen enteignenden Eingriff überschritten werden, wenn die Arbeiten nach Art und Dauer sich besonders einschneidend, gar Existenz bedrohend, auf den Anliegergewerbebetrieb ausgewirkt haben. (BGH, Beschluss vom 27.11.1986, Az. III ZR 245/85).
  • Wenn der Zugang zum Ladenlokal durch Bauarbeiten erheblich erschwert ist, muss es jeder Anlieger hinnehmen, dass die Straße entsprechend den örtlichen Bedürfnissen erneuert und umgestaltet wird. (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.11. 1997, Az. 24 U 261/96).
  • Aus dem Fernstraßengesetz lässt sich kein Entschädigungsanspruch für Umsatzeinbußen ableiten, die aus der Verlagerung von Verkehrsströmen als Folge einer Veränderung des Wegenetzes herrühren (BVerwG, Beschluss vom 21.10.2003, Az. 24 U 261/96).
  • Bauarbeiten an Straßen können rechtswidrig sein, wenn die Arbeiten nach Art und/oder Dauer über das jenige hinausgehen, was bei ordnungsgemäßer Planung und Durchführung mit zumutbaren Mitteln möglich gewesen wäre. Die Vollsperrung einer Bundesstraße über einen Zeitraum von 17 Monaten war unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig, weil in nennenswertem Umfang mit Straßenbauarbeiten erst lange nach der Vollsperrung begonnen wurde und weil ein Anliegerverkehr wegen der fortbestehenden Befahrbarkeit der Straße möglich gewesen wäre (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 10.2. 1998, Az. 2 U 193/96).
  • Der Mieter eines Geschäftslokals ist nicht deshalb zur Kündigung des Mietvertrages berechtigt, weil die Zugänglichkeit seines Betriebes durch Straßenbauarbeiten beeinträchtigt wird. Diese Beeinträchtigung stellt keinen Mangel der Mietsache dar, denn das Risiko, dass sich auf Grund welcher Umstände auch immer die Kunden verlaufen, trägt alleine der Mieter (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.1997, Az. 24 U 261/96).
  • Vorgehen der Behörden
    Die Behörden sind verpflichtet, bei Baumaßnahmen das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren. Alle Tätigkeiten sind daraufhin zu überprüfen, ob sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind. Unter mehreren geeigneten Baumaßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den einzelnen Gewerbetreibenden und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Baumaßnahmen müssen unterbleiben, wenn die zu erwartenden Nachteile für den Betroffenen außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.

 

  • Überflüssige Verzögerungen sind durch sorgsame Planung und zügige Durchführung der Maßnahmen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 6.11.1997, Az. III ZR 198/ 96). Wo immer es den Behörden mit wenig Aufwand möglich ist, Beeinträchtigungen zu vermeiden oder zu verkleinern, müssen die entsprechenden Schritte unternommen werden. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass Bauarbeiten an einer Fußgängerzone nicht flächendeckend, sondern in kleineren Einheiten durchzuführen sind, wenn dadurch der Zugang zu Ladengeschäften besser gewährleistet wird.
    Grundsätzlich ist es Sache des Betroffenen, darzulegen und zu beweisen, dass die angegriffene Baumaßnahme unverhältnismäßig ist. Dies zwingt den Anlieger jedoch nicht dazu, ständig die Baustelle vor dem eigenen Grundstück zu beobachten und eine Aufstellung des zeitlichen Ablaufs der Bauarbeiten vorzulegen (BGH, Urteil vom 6.11.1997, III ZR 198/ 96).

 

  • Ist der von der Behörde für die Bauarbeiten veranschlagte Zeitplan wesentlich überschritten worden, so gilt dies als Indiz dafür, dass die Arbeiten unverhältnismäßig lange gedauert haben. Hier kehrt sich die Darlegungs- und Beweislast um: Die Behörde steht in der Pflicht darzulegen, welche Ursachen zur Verzögerung geführt haben.
    Die Behörden sollten betroffene Anlieger frühzeitig von den Plänen informieren und auch die beabsichtigten Baumaßnahmen zeitlich und örtlich präzisieren. Eine Pflicht der Straßenbaubehörde, vor Beginn von Straßenbauarbeiten mit Verkehrsbeschränkungen die betroffenen Anlieger anzuhören und auf ihre Belange bei ihren Plänen Rücksicht zu nehmen, gilt nur bei umfangreichen Arbeiten wie etwa beim U-Bahn-Bau, nicht aber bei Kanal- und Rohrverlegungsarbeiten, durch die der Straßenverkehr lediglich eingeschränkt wird und die Behinderungsdauer kurz ist. In diesen Fällen reicht eine Ankündigung der Arbeiten in der örtlichen Presse (OLG Koblenz, Urteil vom 7.6.2000, Az. 1 U 964/ 97).

 

Zahlung einer Entschädigung
Die Höhe einer Entschädigung erreicht nicht die Summe, die als Schadenersatz zu leisten wäre. Mit der Zahlung einer Entschädigung soll nur ein angemessener Ausgleich geschaffen werden.
Handelt es sich um einen vorübergehenden Eingriff in den Gewerbebetrieb, ist die Minderung der durchschnittlichen Erträge zu Grunde zu legen. Die Obergrenze der Entschädigungsleistung stellt der Wert des Betriebes dar. Gewinnaussichten, Hoffnungen, Chancen oder Erwerbsmöglichkeiten sind nicht zu berücksichtigen. Andererseits ist ein Vorteil, den der Betrieb nach Abschluss der Baumaßnahmen haben kann (bessere Erreichbarkeit etc.) nur dann zu berücksichtigen, wenn gerade dieser Betrieb und nicht auch andere Unternehmen von dem Vorteil profitieren.
Ein Anspruch auf Entschädigung scheidet aus, wenn der Betroffene es schuldhaft unterlassen hat, einen Eingriff in seinen Gewerbebetrieb mit den zulässigen Rechtsmitteln abzuwehren (OLG Hamm, Urteil vom 30. 6.2003, Az. 22 U 173/ 02).
So verliert ein betroffener Straßenanlieger jeglichen Anspruch auf Entschädigung und möglichen Schadensersatz, wenn er es unterlassen hat, Rechtsmittel gegen die Sperrung einer Straße einzulegen (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 10.2.1998, Az. 2 U 193/ 96).

 

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Bundesverfassungsgericht Karlsruhe